Halb fünf Uhr und schon hell. Das stört mich nicht allzu sehr, aber im Raum ist eine einzige Fliege und die fliegt auf verwesendes Fleisch, das einzige Angebot scheint mein Körper zu sein, der weitgehend bedeckt ist. Sie untersucht abwechselnd den hervorlugenden rechten Arm, dann wieder meinen Kopf hinter dem rechten Ohr, gelegentlich den Haaransatz an der rechten Stirn. Das Versuchen sie zu vertreiben, hält sie nicht ab. Das nervt, wer kann da auf den Tagesbeginn warten. Ich greife meine Brille, richte mich auf, um auf die Jagd zu gehen. Das hielt die Fliege am frühen Morgen für bedrohlich, sie ist nicht mehr zu lokalisieren.
Cilly ist Frühaufsteherin, ob sie schon ihre Morgenrunde durch den Dorfwald und an den Badesee macht, weiß ich nicht. Ich muß folglich tief geschlafen haben, zwar viel zu wenig. Mich jetzt still und heimlich zu verdrücken wäre unhöflich. Ich lege mich wieder hin, was die Fliege als Einladung begreift. Ich verstecke mich unter der Decke, da wird es schnell zu warm, kaum wieder Luft am Körper, landet die Fliege auf mir. Eine bewußte Bewegung scheucht sie wieder auf. Wenn es zu nervig wird, geht es wieder unter die Decke. So geht es bis ich aufgebe und aufstehe. Jetzt lese ich den Peiner Chronicle, die Zeitung, die weiß was in den Dörfern in der Gegend so vorgeht und wichtig zu sein scheint. Das gelbe Blatt, welches noch präziser weiß, was die Adenstedter Gemüter bewegt, sehe ich nicht, es ist wohl falscher Wochentag. Der Brötchenholdienst kommt und es gibt Frühstück, dabei erfahre ich die Brötchenlage, denn heute ist der Tag, an dem der Bäcker erst um zehn öffnet und so die Brötchen aus einem anderen Laden stammen und anders aussehen.
Es ist elf Uhr als ich mich auf den Weg mache. Geplant ist gemäß Kurviger die intensivste Route gen Göttingen zu nehmen. Etwas außerhalb halte ich an, stelle mein Stativ mit der Kamera auf, um meine Vorbeifahrt mit dem reifen Getreidefeld und den Alleebäumen als Sequenz aufzunehmen. Ich drehe auf der Landstraße, was nicht so einfach ist, weil der Wendekreis des Motorrades nicht mit der Straßenbreite korrespondiert und die Ackereinfahrten weit auseinander liegen und unschönes Gefälle aufweisen. Zurück gefahren und noch einmal gewendet. Mit entsprechender Lässigkeit an der Kamera vorbeigefahren, angehalten, zurückgelaufen, das Stativ mit Kamera eingesammelt, zum Motorrad zurück, den Krempel in die Packtasche eingelegt. Klar, in diesem Augenblick trifft sich der gesamte Verkehr des Tages an dieser Stelle. Ein LKW hält hinter mir an, läßt den Gegenverkehr vorbei und fährt dann in der Mitte der Landstraße an mir vorbei, während ich mich ob der Rücksichtnahme mit einer Geste bedanke. Das machen wir jetzt nicht häufig, denn es ist schon mächtig warm und wie ein Getreidefeld aussieht, ist auch keine Botschaft, wenn ich daran vorbeifahre. Tage später stelle ich fest, die Aufnahme wurde nicht aufgezeichnet, denn nur das Monitordisplay sah die Szene. Den roten Punkt für die Aufnahme habe ich nicht vermisst, weil das grelle Sonnenlicht alles überblendete.
Im nächsten wirklich kleinem Dorf weist mich das Navi nach dem Ortseingang an rechts in eine Tempo reduzierte Zone mit verschwenkender Verkehrsführung und neu gebauten Häusern zu fahren. Die Routenplanung scheint wirklich jede Milchkanne zu berücksichtigen. Kurze Zeit später das gleiche Spiel, abbiegen und durch eine Abkürzung um die Ecke zirkeln. Es ist nur zu warm um gemütlich zu schauen, ob es hier hübsche junge Mädchen vor den Häusern gibt und um die Mittagszeit sind die Aussichten dafür nicht optimal. Gibt es nicht, nur eine ältere Dame mit Gehhilfe sitzt verloren wirkend auf einem Mauerrand im Schatten eines Baumes.
Das Navi hat ein Einsehen und lotst mich auf die Autobahn nach Göttingen. Das Wetter hingegen ist weniger einsichtig, knalle heiß auf der Piste. Schon nicht viel später fahre ich auf einen Parkplatz zum Abkühlen. Allerdings Schatten ist rar und den einzigen, den ich erspähe, hat aufgewärmte Ziegel. Muß reichen.
Wärmeeinwirkung auf den menschlichen Körper muß weitestgehend über die Haut reguliert werden. Macht sie auch, kann ich deutlich durch das klamm werden des Innenfutters der Jacke bemerken. Deshalb wird sie auch ausgezogen. Wie lange es dauert, bis die Magentemperatur sich normalisiert oder ob sie im Normalbereich ist, ist nicht festzustellen. Kann der Körper nicht. Jedenfalls wenn es dem Magen zu warm wird, kann er reagieren. Dann wird der Inhalt durch den Eingang hinausbefördert. Das passiert in zwei Etappen, die erste ist normales Erbrechen. Die zweite ist das Entsorgen der Magensäure, die tatsächlich eine Säure ist. Diese verätzt die Speiseröhre. Um etwas zu trinken ist es zu spät, die Reaktion des Körpers läuft. Diesen Spaß will ich nicht haben, also war fast eine halbe Stunde Pause angesagt.
Was mache in der Wartezeit? Ich habe mir Notizen gemacht. Um 11 Uhr 56 saß ich im Schatten, nachdem ich die Toilette aufgesucht habe, moderne Toiletten, alles sauberster Edelstahl, allerdings Toilettenpapier gibt es nicht mehr. Die Suche nach einer Signaleinrichtung, den Mangel zu melden, war erfolglos. Es mußte ein Papiertaschentuch geopfert werden. Mittlerweile habe ich ständig ein, zwei in der Hosentasche. Das weiß auch der Servicedienst für die Autobahntoiletten, denn hierfür steht ein Eimer zum Sammeln bereit. Ohne diese Behälter sind die Abflussrohre öfters verstopft. Um 12 Uhr 20 kam der Autobahnservice mit Reinigungsausrüstung und tat seinen Dienst, den ich weder abwartete noch kontrollierte.
Um zwanzig Uhr wird in den nächsten Ort gefahren, Bad Homburg, und ein großer SuperBruksen, hier Rewe genannt, lud zum Schoppen ein, zu einer Flasche Müller-Thurgau; zum Trinken habe ich zwei Dosen Hefeweizen mitgenommen. Zwei Brötchen und der Ja-Fleischsalat mußte in dem getrennten Abteil nebenan erworben werden. Zunächst hatte ich fertig eingetütete fünf Brötchen in der Hand. Das war mir bei diesem Wetter zuviel, so brachte ich sie ins Regal zurück, da sie ohnehin den Einzelpreis mal fünf kosteten. Ich habe meine eigene Tüte gefüllt.
Um zehn vor Zehn Uhr gibt es Abendessen auf einem gemütlichen Autobahnrastplatz. Das Weißbier aus der Dose ist nicht zu empfehlen, es ist gewöhnungsbedürftig. Dafür ist mein Blutzuckerwert am Normalbereich: 150 mg/dl.
Es wird Zeit nach einem Nachtlager Ausschau zu halten. Ich fahre eine Landstraße entlang, die rechts und links von einem abfallenden Grünstreifen und asphaltierten Landwirtschafts- und Fahrradweg begleitet wird. An einer Abfahrt rechts durch ein Wäldchen stehen zwei Hänger mit containerartigen Aufbau, da fahre ich auf den Wirtschaftsweg. Links von mir ist der Himmel schon sehr dunkel und es zucken rote Blitze auf die Erde. Das Gewitter scheint langsam in Fahrtrichtung zu ziehen. Das kann sich jedoch ändern. Hinter den Bäumen ist ein Getreidefeld, für ein Bett im Kornfeld schlecht geeignet, der Boden hat tiefe Furchen vom Eggen, zudem leuchtet das Korn erntereif. Das ist nicht gut für einen ruhigen Schlaf. Zudem ist von der Straße zum Fahrradweg und zum Acker ein Gefälle. Das kann ein Wasserweg werden oder sein. Ich halte an und wandere einen Weg um den Acker herum. Da könnte sich auf der straßenabgewandten Seite ein Plätzchen für mein Zelt sein. Platz ist da, nur halt mit Bewuchs. Verbuscht, wenn nicht der Begriff verfilzt besser zutrifft. Nicht mit ein paar Handgriffen für ein Zelt mit Motorrad hinreichend vorzubereiten. Ich laufe auf der Rückseite des Ackers zurück, wo der Wirtschaftsweg zu der Einfahrt mit den Anhängern sich befinden müßte. Den finde ich auch und kann einen wesentlich größeren Acker mit einem Wohnhaus und Windrad sehen. Vermutlich wird da ein weiteres Windrad aufgestellt und verspricht Verkehr. An dem Punkt ist es egal, wie ich zurück laufe, beides ist gleich lang. Ich nehme den unbekannten Weg in der Hoffnung rechts oder links im Gebüsch ein Plätzchen zu erspähen. War natürlich nur für Eichhörnchen oder Füchse geeignet.
Ich gehe den Weg vorwärts zum nächsten Abzweig, auch fünfzig und ein paar Meter. Dort stehen noch zwei Hänger, diesmal am Rande der Einfahrt, die wesentlich breiter ist. Es folgt ein quadratischer Parkplatz an dessen Mitte rechts zu den hier nicht sichtbaren Windrädern hin eine nicht umgehbare Schranke ist. Zudem steht neben der ein Schild mit einer bekannten Eule. Das richtige ist das auch nicht. Auf dem Weg zurück geht es nicht legal weiter, haben die mit dem Zeichen „Durchfahrt verboten“ außer landwirtschaftlichen Verkehr und Fahrrädern unübersehbar markiert.
Ich entscheide mich für eine Notlösung, da steht Motorrad am Rand des Weges, so daß das Zelt gerade so zwischen Motorrad und Acker paßt. So kann das Überzelt am Motorrad gespannt werden. Wichtig erscheint mir das Zelt so zu stellen, das niemand auf die Idee kommt zwischen Motorrad und Acker ein Gefährt da entlang zu steuern.
Beim Aufstellen des Zeltes kommen Luftböen auf, reißen mir das Zelt vom Boden, der zweite Fiberglasstab macht einen Abflug ins Getreide, ich halte das Zelt am Boden mit dem linken Bein und auf dem Boden sitzend fummel ich den Spannhaken in den Stab. Dann kommt der Packsack mit Schlafsack und Isomatte als Fußfessel auf das Zelt. Zum Glück war das Getreide goldreif und so gab es einen genügenden Kontrast um die Zeltstange schnell zu erkennen.
Der Seesack wird in das Zelt geschwungen, die Packtasche des Zeltes folgt. Nun muß das Nylonüberzelt über den Iglu. Das ist immer diffiziel, weil der Eingang über den Eingang des Zeltes liegen muß. Wenn die Unterseite der Plane nach oben zeigt, ist es nicht dicht und nicht abspannbar. Ein Vorteil sind die angebrachten leuchtend gelben Abspannschnüre, wenn die oben sind, ist das schon die halbe Miete. So richtig passen die Abspannungen nicht, die Befestigungspunkte am Motorrad sind nicht weit genug auseinander. Die andere Seite wird unter die Spannbögen geklemmt, denn in den Asphalt und der verdichten Bodenfläche ist kein Erdnagel herein zu bekommen. Meine sind sehr weich und ein Hammer stht nicht zur Verfügung. Heute habe ich als Besonderheit einen kleinen Bachlauf im Zelt zur Ackerseite konstruiert, indem die Aufsetzpunkte am Ackerrand nicht von den Fiberglasstangen diktiert wurden.
Es fängt richtig an zu schütten, ich nehme den Schwimmbadstil in das Zelt, bei den Comics von Brösel nennen die das Flachköpper, drehe mich auf der Stelle und kämpfe mit dem Schließen des Eingangs, der eigentlich auch großzügig abgespannt sein müßte. Dazu bin ich erst nach dem Starkregen provisorisch von innen gekommen. So liegen die beiden Eingänge aufeinander. Das wird nicht dicht sein. Schon tröpfelt es auf der Wetterseite durch, auf dem Boden zeigen sich im Handylicht erste glänzende Wasserpfützen kleineren Ausmaßes. Erst den Schlafsack aus dem gefährdeten Bereich nehmen, meine Stiefel kommen auch an die Seite. Wieso das Futter klamm, feucht ist, kann ich nicht erklären. Auf der Seite zum Acker ist der Wasserfluß deutlicher, da wird alles frei geräumt. Mehr kann da im Moment nicht getan werden und im Freien etwas mit der Abspannung zu versuchen? So heftig ist der Wassereinbruch zur Zeit nicht, also lege ich mich ins Trockene und warte den Starkregen ab. Zudem habe ich da meinen Privatbach modelliert.
Um zwei Uhr läßt der Starkregen nach, in meinem Privatbach im Zelt steht das Wasser 1,5 Zentimeter hoch. Der Versuch das zu fotografieren oder zu filmen schlug fehl, weil mir die Hände für die Beleuchtung fehlten. Zudem mein Handy macht mit seinem Blitz einen satten Grünstich und ist mittlerweile dafür unbrauchbar. Das Wasser muß mit Hilfe des Mikrofaserhandtuchs aufgesaugt und im Vorzelt entsorgt werden. Der offene Zelteingang ermöglicht die von oben kommenden Regentropfen den Eingang ins Zelt. Das sind auf dieser Seite nicht mehr so viele. Ein Mikrofaserhandtuch ist für diesen Zweck mit nichts zu vergleichen, es funktioniert mit einer ausgezeichneten Leistung. Das Zelt ist innen wieder trocken. Jetzt ist Schlafenszeit.
Um fünf Uhr höre ich einen jungen Mann mit lautem „Juhuu“, völlig begeistert bin ich über diesen Teenie, der mitten auf dem Lande, kein Mensch wahrscheinlich in Reichweite außer mir, genau neben dem Motorrad und seiner Konstruktion sein Juhuu für mich trötet. Den Zelteingang auf zu machen, verweigere ich mir. Bis ich soweit bin und heraussehe ist der mit seinem Fahrrad weit weg.
Etwas später stehe ich auf, wundere mich über meine Stiefel, deren Innenfutter trocken scheint. Vor dem Zelt liegt in einer Regenlache der Verpackungsschlauch des Fiberglassgestänges, ist gestern Nacht dort liegengeblieben. Auf den kann man verzichten, was ich nicht mache. Das Überzelt hat ordentliche Wassertropfen auf seiner Fläche, die soweit es geht mit dem Mikrofaserhandtuch eingesammelt werden. Der Wasserstand auf dem Motorrad wird ebenfalls aufgesaugt und der Natur übergeben. Das Überzelt wandert auf den Rasen zur Straße in den Sonnenschein. Der Zeltabbau und das ganze Verstauen geht lustlos und schleppend mit vielen Pausen vonstatten. In der Zeit holt ein SUV den Hänger vor dem Naturschutzgebiet ab. Eine Frau mit zwei kleinen Hunden macht ihre Morgenrunde. Auf deren Rückweg wechseln wir ein paar Worte.
Als die Sonne über den Bäumen den Acker in goldenes Licht taucht, verlasse ich dieses Plätzchen.
Weiter zum nächsten Tag