Allgemein

2. April – 9. April 2020

Donnerstag 2. April

Zu früh geunkt. Die Tür zur anderen Dimension ist nicht zu, heute stand auf der anderen Seite des Bettes die Regenkombi, die ich letztes Jahr erworben hatte ohne sie zu probieren. Weiß ich, sollte ich einmal anprobieren, aber es sieht nach einem echten Ausfall der Motorradsaison dieses Jahr aus, drängt also nicht. Was soll es bedeuten? Ich habe ein ganze Reihe von Projekten, die hängen und aus dem einen oder anderen Grund nicht angegangen werden. Hmm, schauen wir einmal und gehen zum Tagesgeschäft, Frühstück, ins Internet schauen und dem Mittagsschlaf. Da ist der Tag auch schon fast vorbei.

Freitag 3. April

L hat heute Geburtstag und ich sage freundlichst ab:

Dingens,
keene Bumen,
kein Suff,
nur trocken Spätzle,
da muß ick mir entschuljen,

Mach‘ das Fenster auf und sing und klatsche
für die Helden, die zu Hause bleiben.
Da jíbt es wenigsten Kaffee mit Cointreu. Und zum siebszigsten komme ich, wenn möglich.

Am ersten hat K mich nachmittags angeufen, sie fährt zum Super-Markt und will mir Notwendiges mitbringen – auch ein Kasten Bier. Da fällt mir sofort Schokolade ein, denn Traubenzucker mag ich zur Abwendung einer Unterzuckerung weniger. Eigentlich möchte ich eher einen eigenen Eindruck zur Versorgungssicherheit gewinnen.
Beim Fleisch wurde nachgefragt, ob es von glücklichen Viechern kommen sollte. Klare Antwort: Ich will es essen.

Bei dem letzten Versuch Lebensmittel zu kaufen, glänzten die Regalböden mit singulären Einzelprodukten oder gar nur mit dem Schild, was darin zu finden wäre. Nun gut, auf meiner Liste landeten Waren, die beim letzten Mal nicht so nachgefragt waren, die müßte es also weiterhin geben. Freilich auch zwei Produkte, deren Nachlieferung in ausreichender Zahl bezweifelt wurde. Alkohol wurde dann auch nicht vergessen, mein edler Fusel, ein günstiger leckerer Rieslingwein, den schon beim letzten Mal leider nicht mehr als 2018er Version angeboten wurde. Vielleicht muß er noch ein bisschen lagern, also dürfen ruhig drei Flaschen sein. Wein habe ich noch im Weinkeller gelagert, da halte ich noch etwas ohne Neuzugänge aus, aber man weiß ja nie, was so noch kommt.

Sie braucht gute drei Stunden bevor sie eine Übergabe zelebriert. Der Einkauf in zwei Tüten, ein Kasten Bier und ein Reparaturauftrag einer Designlampe werden unten in den Fahrstuhl gestellt und zu mir in den zweiten Stock geschickt. Nicht ohne darauf hinzuweisen, das sie anderes als mein letzter Besuch darauf bedacht ist, mir keinen möglichen Corona-virus mit zu bringen.

Sie hat sich für eine ganze Kiste Wein entschieden, weil das Regalfach so leer aussah. Was sie aber nicht weiß, vor zwei Wochen habe ich es so verlassen, weil nur drei Flaschen mitgenommen wurden. Das gleiche beim Käse, was damals schon weg war, wurde nicht aufgefüllt oder war wieder abverkauft. Wobei ich letzteres als weniger wahrscheinlich ansehe, die versuchen die Produkte mit höheren Handelsspannen an den Mann zu bringen.
Das Mädel hat dann auch anders verpackten Käse angeschleppt und einen zusätzlichen in Bio-Qualität.
Das ist ein Missionieren, wobei ich da besonders skeptisch bin. Das hat C auch versucht und im Bio-Laden günstig eingekauft, wobei das Gemüse immer schon SOS signalisierte. Da konnte ich nicht umhin BIO-Aufkleber zu sammeln und günstige Produkte damit zu veredeln. Zunächst hat sie sich gefreut ob ihres Erfolges. Später scheint sie den Glauben verloren zu haben.

Jedenfalls war dieses Einkaufen mit ein Grund warum ich nicht zum Geburtstagsspätzle gefahren bin. Allerdings neige ich eher dazu auf einem Fest zu sterben als in einer Gefängniszelle oder gar an einer Maschine auf das Ende des Lebens zu warten.

Samstag 4. April

Was denn? Heute keine Corona-Sondersendung bei den Big-Playern? Hah Glück gehabt, der RBB macht doch eine. Inhaltlich jedoch nur die Diskrepanz der Landespolitiker um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung mit dem Versuch faschistische Stärke als probates Mittel eines Führers zu vermitteln. Die Berliner dürfen und die Brandenburger nicht, oh dieser schreckliche Förderalismus, es sollte doch überall verboten und Söder unserer Diktator sein.

Heute Abend mache ich ein griechisches Programm, es läuft griechische Musik und in Ermangelung von Retsina gibt es griechischen Kaffee.

Mikis Theodorakis in Ost-Berlin.

Sonntag 5.April

Vor ein paar Tagen habe ich im Blog von Susette den Bericht über Andrea unter Corona-Stress in Israel gelesen, was nach meinem Senf schrie.

Andrea findet Videoclips mit verschiedensten Verschwörungstheorien zum Corona-Virus im Internet, die im Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen einleuchtend klingen. Wer da poltert „das ist alles Blödsinn“, der erkennt nicht die offizielle Kommunikation mit der Schwachstelle der offenen Ungenauigkeit. Auch wenn man es nicht direkt erkennt, im Unterbewußtsein bleibt es nicht unbemerkt.

Andrea hamsterte von dem gemeinsamen Kontingent Olivenöl und Kaffee.
Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Niemand hat das kälter werdende Wasser bemerkt, nur Andrea fror schon über Wochen. Sie schießt in stetiger Konstanz eine Leuchtkugel nach der anderen ab und niemand bemerkt es. Nein, sie bemerken es, verstehen es aus ihrer eigenen Filterblase nicht. Sie wollen ihren reibungslosen Alltag erhalten, der ohnehin von äußeren Bedingungen eingeschränkt und belastender wird.

Von nichts kommt nichts. Das Verhalten von Andrea kommt von früher, daran ist nichts mehr zu ändern. Dem Verhalten aus der Unsicherheit, das Hamstern, kann man etwas entgegensetzen. Ich würde ihr jeden zweiten Tag und in der Folge abnehmend eine Flasche Olivenöl spendieren. Nach acht, zehn Flaschen nachfragen, ob noch eine mitgebracht werden soll. Bei Bedarf bekommt sie dann noch zehn Flaschen. Das wäre ein Weg zu einer abschätzbaren Zukunft.

Angst ist nicht rational, deshalb hilft ein Appell an die Vernunft nicht. Allerdings ist es schwierig die konkrete Angst zunächst zu benennen, zu bestimmen. Was nutzen zehn Eimer Marmelade, wenn nur zehn Stangen Zigaretten etwas Sicherheit versprechen?

Montag, Dienstag 6./7. April

Wir haben Kaiserwetter, selbst die Bäume zeigen positive Absichten und am wichtigsten ist die wärmere Einstrahlung der Sonne. Ich bin schon geneigt ein Sonnenbad auf dem Balkon zu nehmen.

Mittags ruft K an, sie will nach der Arbeit einkaufen und fragt nach meinem Bedarf. So schnell fällt mir nach dem letzten Aufstocken nichts dringendes ein. Na ja, den Kuchen schaffe ich heute noch, da wäre …
Etwas später der nächste Anruf von I, er wollte zur Imbißbude und mir etwas mitbringen. Im Regelfall lehne ich das ab, weil er ohnehin an der Grenze seines Einkommens lebt, da ist jeder Konsum nicht vom System vorgesehen und übersteigt seine Verhältnisse. Nebenbei ist er auch Raucher und das kostet auch sein Geld. I will trotzdem vorbeikommen. Freilich verstehe ich seinen Beweggrund, nämlich den Wegfall seiner sämtlichen sozialen Kommunikation, die weitestgehend in verschiedenen Kneipen, Imbißbuden und Restaurants lokalisiert ist und dort stattfindet. Ich kann da keinen Ersatz leisten, da ich ein Gefährdeter bin. Das mußte ich ihm gegenüber zu Ausdruck in einfachen Worten bringen. Einfache Worte bedeutet: wenn ich von der Krankheit befallen werde, dann sterbe ich. Einfache Worte bringen das finale Ende mental näher heran, das ist unangenehm.

Abends die Lieferung. Es gab noch einen Bonus, Ware, die jemand im Einkaufswagen vergessen hatte. Das passiert, wenn man den Einkauf im Einkaufswagen in Transporttaschen umpackt und die Übersicht verliert. Warum K den versiegelten Kochkäse und die in Folie eingeschweißten Brötchen nicht für den Eigenbedarf verwendete, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich kenne jedoch einige Leute, die dahinter immer einen Giftanschlag vermuten. Aber warum sollte dieser außerhalb des Geschäftes erfolgen und innerhalb des Ladens hätte zur Konsequenz dort nicht mehr einkaufen zu können. Logik hilft nicht gegen Angst. Und so gibt es eben keinen frischen Sauerampfer, denn da könnte ein Hund drauf gepinkelt haben. Doch diese Vermutung stammt eher aus der Prämisse: wer nichts weiß, muß alles glauben.

Mittwoch, 8. April

Telefonmarathon, drei jeweils über eine Stunde, die Leit sitzen alle zu Hause, haben die Wohnung aufgeräumt, geputzt und suchen Beschäftigung. Da kann ich ausführlich aus meiner Schutzhaft berichten. Zum Glück habe ich Internetanschluß, kann also heraus aus meinen Räumen (und andere nerven 😁). Wenn ich da an meinen Freund Arno denke, der über ein Jahrzehnt im Pflegeheim lebte. Isoliert auf der Wohnebene mit anderen Bewohnern, die kommunikativ auch nicht viel zu bieten hatten. Eine Frau, deren jeder zweite Satz mit „meine Tochter“ begann und inhaltlich lediglich eine Überschrift übermittelte. So eine Vorbildfunktion färbt ab, er erzählte später auch fast nur noch von seiner Urlaubstour durch die Seealpen im Wohnmobil. Also eigentlich nur zwei Episoden. Jedenfalls solange er noch flüssig reden konnte. Die Sprachfähigkeit brach zusammen und so brauchte ein Satz später lange Zeit, da muß man sich erst daran gewöhnen.

Mittwoch 9. April

Corona Meldung: die Infektionszahlen gehen zurück. Auch gibt es eine erste „echte“ Information über die Todesrate, die dann unter einem halben Prozent liegt. Das echt bezieht sich auf die Studie in Heinsberg. Nur was nutzt die effektive Todesrate, wenn man der einzige Tote ist. Das Leben kommt nur zurück, wenn die Fallzahlen weitestgehend sinken und das ist im Augenblick noch Wunschdenken und Kaffeesatzlesen.

Nachbars machen Picknick und halten Schwätzchen.